Nach Einschätzung von Wagner wird der stationäre Handel mit Lebensmitteln auch nach einem Durchbruch des Online-Lebensmittelhandels nicht vollständig vom Markt verdrängt, sondern es wird vielmehr eine Entwicklung hin zum Cross-Channel-Verhalten der Kunden stattfinden (Wagner und Wiehenbrauk 2014, S.17). Gründe hierfür sind laut Wagner die hohe stationäre Ladendichte in Deutschland, das aufgebaute Vertrauen der Konsumenten in bestimmte stationäre Händler, sowie die Rolle der frischen Lebensmittel (ebd.). Dennoch nimmt durch die Möglichkeiten einer einfachen dynamischen Preissetzung im Online-Lebensmittelhandel der Preisdruck seitens der stationären Lebensmittelhändler ebenfalls zu, weshalb die Möglichkeiten zu einer Preisdifferenzierung auch hier untersucht werden sollten. Grundvoraussetzung für eine dynamische Preisgestaltung im stationären Handel ist zunächst einmal der Einsatz digitaler Preisschilder, denn das manuelle Ändern der Preise wäre zu kosten- und zeitaufwändig (Schleusener 2013, S.156). Rewe beispielsweise setzt schon in 1500 stationären Einkaufsstätten diese, auch als Electronic Shelf Labels (ELS) genannten, elektronischen Preisschilder ein (Elsbeck 2018). Auch Filialen von Saturn, Media Markt, Edeka oder Kaufland sind bereits teilweise mit digitalen Preisetiketten ausgestattet (Janke 2018, S.2). Sogleich zunächst Kosten für die Anschaffung der ELS anfallen, können dadurch auch im stationären Handel Preise schnell und kostengünstig verändert, sowie Fehler durch manuelle Preisanpassung vermieden werden (Schleusener 2013, S.156; Elsbeck 2018). Preise können beispielsweise über einen zentralen Rechner oder eine Onlineplattform gesteuert und geändert werden (Janke 2018, S.2). Eine automatisierte Preissetzung durch zuvor beschriebene Systeme, beispielsweise vom Anbieter Prudsys, ist somit auch im stationären Lebensmittelhandel technisch realisierbar (Prudsys Whitepaper 2018, S.6). Auch die digitalen Preisetiketten in Real-Filialen sollen, laut dem Geschäftsführungsvorsitzenden, eine dynamische Preisänderung ermöglichen, um auf die Konkurrenz schnell reagieren zu können (Loderhose 2016b, S.1). Im folgenden Abschnitt sollen die Möglichkeiten und Grenzen einer Preisdifferenzierung 1. Grades im stationären Lebensmittelhandel analysiert werden. Der amerikanische Lebensmitteleinzelhändler „Safeway“ setzt bereits eine teilweise personalisierte Preissetzung ein: Anhand einer Kundenkarte werden individuelle Kaufhistorien und Kaufdaten erfasst und dadurch beispielsweise individuelle Markenpräferenzen, Preissensibilitäten und Verhaltensweisen abgeleitet (Clifford 2012). Es werden auf dieser Basis personalisierte Rabatte angeboten, welche bei der Kasse bei Vorlage der Kundenkarte automatisch eingelöst werden (ebd.). Kunden können ihre persönlichen Angebote vorher auf der Safeway-Website einsehen oder durch eine dafür vorgesehene App (ebd.). Wenn die Daten zum Beispiel darauf hinweisen, dass der Kunde eine große Familie hat, könnten spezielle Angebote auf größeren Packungen den Kunden dazu verleiten, diese, anstatt die kleineren Versionen beim nächsten Kauf zu erwerben (ebd.). Ebenso können Produkte einer Marke, welche vom Kunden zuvor nicht gekauft wurden, obwohl die Beliebtheit dieser Marke beim Kunden ersichtlich wird, personalisiert bepreist werden, um den Kunden dazu zu bringen, diese Produkte auch auszuprobieren (ebd.). Denkbar wäre sogar, den Kunden übers GPS in seinem Smartphone im Laden zu lokalisieren, und je nachdem, in welcher Abteilung der Kunde sich gerade befindet, spezielle Rabattangebote in Echtzeit zu offerieren (Farnham 2013). Die Supermarktkette „Kroger“ zum Beispiel möchte ebenso personalisierte Preise anbieten, indem diese versucht, die Preisbereitschaften einzelner Kunden zu erfassen (Clifford 2012). Zu welchem Zeitpunkt und in welcher Frequenz ein Produkt gekauft wird, kann ebenso verfolgt werden (ebd.). Ziel ist es, die Margen zu erhöhen und die Kunden langfristig an die Händler zu binden (ebd.). John Caron, Vorsitzender der Marketing Firma Catalina (ebd.), behauptet, dass Kunden den Austausch ihrer Daten akzeptieren, sofern sie im Gegenzug individuell zugeschnittene Rabatte zu ihren Gunsten erhalten (Farnham 2013). Dennoch könnten Kunden es als unfair empfinden, nur aufgrund ihrer Kaufhistorie, gewisse Rabatte im Vergleich zu anderen Kunden nicht zu erhalten. Vor allem, weil es für Kunden möglicherweise an Transparenz und Nachvollziehbarkeit der zustande gekommenen Rabatte fehlt. Andererseits zeigt das Beispiel Safeway, dass Kunden diese Preisstrategie auch durchschauen und ihr Kaufverhalten dementsprechend manipulieren könnten. Eine Kundin, welche die Kundenkarte von Safeway testete, bemerkte, dass wenn sie ausschließlich Produkte der Marke „Starbucks“ kaufte, ihr keine guten Rabatte auf gemahlenen Kaffee offeriert wurden, und sobald sie auch „Dunkin´Donuts“ Produkte erwarb, sie auch günstigere Preise für Kaffee erhielt (Clifford 2012). Das System ging vermutlich davon aus, dass ein Kunde, der häufig Starbucks-Produkte kauft, eine relativ hohe Zahlungsbereitschaft für Kaffee-Produkte aufweist, und somit eine Rabattierung für diesen Kunden als sinnlos erscheint. Auch deutsche Lebensmittelhändler wie Netto und Penny setzen bereits personalisierte Rabatte mithilfe von Kundenkarten ein (Loderhose 2016b, S.2). Eine personenbezogene Preisdifferenzierung ohne Kundenkarte und nur mithilfe digitaler Preisschilder ist kaum realisierbar, da es kaum umsetzbar ist, die Preise für jeden Kunden individuell anzuzeigen. Der Kunde müsste hierfür im Laden hinsichtlich den hinterlassenen Kaufdaten klar identifizierbar sein. Sollten für jeden Kunden stets unterschiedliche Preise gelten, würde dies Preisschilder generell überflüssig machen. Durchsetzbar wäre dies nur, wenn der Kunde beispielsweise durch Abscannen des Barcodes eines Artikels mit dem Smartphone seinen individuellen Preis erfährt, wobei dieser durch sein Smartphone anhand einer Kundennummer beispielsweise an der Kasse identifiziert wird. Eine solche extreme Form der Preisdifferenzierung ersten Grades würde jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit auf große Ablehnung stoßen, nicht zuletzt weil ein Einkauf den Besitz eines Smartphones erfordern würde und ein hoher Zeitaufwand beim Abscannen jedes erwünschten Artikels anfallen würde. Insbesondere wenn Käufer ihre individuellen Preise vergleichen und für die Kunden unnachvollziehbare Preisunterschiede ersichtlich werden, besteht die Gefahr, dass vor allem preislich benachteiligte Kunden die Umstände nicht akzeptieren. Eine räumliche Preisdifferenzierung 3. Grades macht im stationären Lebensmittelhandel durchaus Sinn, da die Kaufkraft, Präferenzen und Zahlungsbereitschaften je nach Region unterschiedlich sein können, wie bereits in Kapitel 3.1 und 4.1 erläutert wurde. Innerstädtische Kunden könnten beispielsweise eine höhere Zahlungsbereitschaft aufweisen, als Kunden mit Wohnsitz in Randregionen, was Unternehmen zu ihrem Vorteil nutzen können. Denkbar wären beispielsweise nach Meffert Regionen-bezogene Geschmacksvorlieben, wie beispielsweise bei Bier, das im Rheinland beliebte Kölsch (Meffert 2015, S.471). Auch die Konkurrenzsituation in einer Region mit einem dicht besiedelten Filialnetz könnte die lokale Preissetzung beeinflussen. Wie bereits zuvor dargestellt, könnten auch hierfür intelligente automatische Preisfindungssysteme eingesetzt werden, welche regionale Preisbildungsfaktoren mitberücksichtigen. Eine zeitliche Preisdifferenzierung, insbesondere eine dynamische Preisänderung im Laufe eines Tages, ist ebenso im stationären Lebensmittelhandel umsetzbar und denkbar. Bestimmte Produkte könnten eine stärkere Nachfrage am Abend aufweisen, wie beispielsweise Chips zum Filmabend oder Wein zum Abendessen, weshalb sich hier eine Erhöhung der Preise aus Händlersicht anbieten würde. Diese Strategie birgt jedoch die Gefahr, dass Kunden diesen Mechanismus „erlernen“ und durch das Wissen gezielt versuchen, den höheren Preisen am Abend durch einen Kauf am Vormittag auszuweichen. Auch die Erhöhung der Preise am Wochenende, würde keinen Sinn ergeben, sobald die Kunden ihre Einkäufe aus diesem Grunde gezielt in der Woche tätigen. Anders als im Lebensmittel-Onlinehandel könnten äußere Umweltfaktoren wie beispielsweise das Wetter, im stationären Lebensmittelhandel auch in die dynamische Preisgestaltung mit einfließen. Die Preise für Produkte wie Eis oder Getränke könnten bei heißen Temperaturen steigen, da die Nachfrage nach diesen Produkten dementsprechend auch steigt und die Konsumentenrente somit besser abgeschöpft werden kann. Durch den Kauf in der Filiale kann das Bedürfnis der Kunden direkt befriedigt werden, im Gegensatz zum Online-Lebensmittelhandel. Genauso könnten die Preise für beispielsweise Eis im Winter gesenkt werden, um die geringere Nachfrage zu dieser Jahreszeit durch einen Preisvorteil für die Kunden wieder zu erhöhen.
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